Dekompressionserkrankung des Innenohrs IEDCI

Detaillierte Ansicht des Ohrs (Quelle: Wikimedia)

 

Die Dekompressionserkrankung des Innenohrs stellt einen Spezialfall der Dekompressionserkrankung dar.

Ursache
Verantwortlich für die Entstehung einer Dekompressionserkrankung ist die Atmung eines Inertgases unter erhöhtem Druck.
Beim Atmen von Pressluft werden ca. 78 % Stickstoff und 21 % Sauerstoff aufgenommen. Da Stickstoff nicht am Stoffwechsel teilnimmt, aber in verschiedenen Körpergeweben unterschiedlich gelöst wird (mit zunehmenden Druck und Dauer in steigender Menge), muss während des Auftauchens der Stickstoff wieder aus dem Körper entfernt werden. Dies ist jedem Taucher bestens bekannt. Abhängig von der Menge des gelösten Stickstoffs darf hierbei unter Umständen nicht direkt aufgetaucht werden, ohne dass Austauchstufen (z.B. mittels Sicherheitsstopp von 3 Minuten Dauer auf 5 Metern Tiefe ) eingehalten werden.

Grundsätzlich gilt, dass bei allen Tauchgängen kleine Stickstoffbläschen im Gewebe und im venösen System entstehen, die asymptomatisch bleiben (Stille Blasen). Sie werden entweder lokal im Gewebe mit der Zeit abgebaut oder sie bleiben in den Lungenkapillaren stecken und werden dort abgeatmet.
Die Lunge hat eine große Reservekapazität für venöse Embolien, so dass hier nur bei grober Verletzung der Dekompressionsvorschriften oder massiven Anstrom venöser Gasbläschen Symptome entstehen. Übersteigt das Maß der Gewebeblasen oder der venösen Blasen bestimmte Grenzen, die individuell verschieden ausgeprägt sein können, oder werden zu viele Blasen arterialisiert (z.B. durch ein offenes Foramen ovale) kommt es zu Symptomen einer Dekompressionserkrankung.

Die Schädigungen der Körperzellen können auf verschiedene Weise entstehen.
Zum einen üben Blasen einen mechanischen Druck auf Zellen aus, der schädlich wirkt. Weiterhin wird die Blutversorgung, d.h. der An- und Abtransport von Sauerstoff, Nährstoffen und Stoffwechselendprodukten, sowohl durch Druck der lokalen Blasen, aber auch durch Embolisation (also Verstopfung durch Partikel) der zuführenden Gefäße, stark eingeschränkt bzw. aufgehoben. Es entsteht ein Sauerstoffmangel im Gewebe, der abhängig von der Art des Gewebes, nach unterschiedlicher Dauer zu einem Zelltod führt.

Das Innenohr gehört zu den Geweben, die einen hohen Sauerstoffbedarf, aber eine Gefäßversorgung mit nur geringer Reservekapazität haben. Aus diesem Grund ist das Innenohr besonders empfindlich für Symptome einer Dekompressionserkrankung.

Symptome
Die Dekompressionserkrankung des Innenohres zeigt grundsätzlich die gleichen Symptome wie das Barotrauma des Innenohrs.
Fakultativ treten auf:

  • Drehschwindel (am häufigsten!)
  • Hörminderung
  • Tinnitus

Es können natürlich auch sämtliche anderen Symptome einer Dekompressionserkrankung auftreten. Häufige und bekannte Symptome einer Dekompressionskrankheit sind Hautrötung und Juckreiz (sogenannte Taucherflöhe), Gelenkschmerzen (bends), Muskelschmerzen, Sensibilitätsstörungen, Muskelschwäche, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Lähmungen, Bewusstlosigkeit und andere Symptome.

Typisch für die Innenohr DCS ist jedoch der massive Drehschwindel, der häufig nach einem symptomfreien Intervall von 10-180 Minuten nach dem Tauchgang auftritt. Das bedeutet, dass der Taucher noch in Ruhe sein Tauchgepäck einräumt und keinerlei Probleme verspüren kann und dann plötzlich ein massiver Drehschwindel auftritt, der das Gehen und Sitzen unmöglich machen und mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen kann.
Der Taucher bemerkt häufig nur den Schwindel und bemerkt keine Beschwerden in den Ohren, auch wenn die Ursache im Ohr liegt.

Therapie
Jede Dekompressionserkrankung mit oder ohne Symptome des Innenohrs muss so schnell wie möglich in die Druckkammer!
Bereits vier Stunden nach dem Tauchunfall reduziert sich die Chance komplett geheilt zu werden um ca. 50%.
Welche Latenz speziell für die Dekompressionserkrankung des Innenohr gilt, ist noch nicht ausreichend untersucht worden.
Grundsätzlich muss unverzüglich die Behandlung von Spezialisten in der Druckkammer beginnen; aber auch nach Stunden und Tagen sollte eine Therapie in der Druckkammer ernsthaft in Betracht gezogen werden, wenn die Diagnose erst dann gestellt wird oder vorher keine Druckkammer verfügbar war.

Geschichte
Die Dekompressionserkrankung des Innenohrs (IEDCI= englisch: inner ear decompression illness) wurde umfassend das erste Mal erst 1977 von Farmer (amerikanischer Otologe) beschrieben.
Damals kam es bei Tauchgängen in Tiefen von mehr als 200 Meter und Verwendung von Helium und anderen Atemgasen häufig zu Symptomen einer IEDCI. Man machte eine lokale Übersättigung zwischen Innenohrstrukturen und Mittelohr verantwortlich für das häufige Auftreten dieser Erkrankung. Bis Ende des letzten Jahrhunderts war man überzeugt, dass eine IEDCI bei Sporttauchern praktisch nicht vorkäme, sondern die Symptome im Bereich des Innenohrs wurden einem Barotrauma des Innenohrs zugeschrieben.
In den letzten 10 Jahren wurden in der internationalen Fachliteratur jedoch einige Fallserien publiziert, die Sporttaucher mit einer IEDCI beschrieben.
Im Jahre 2001 gab es eine Veröffentlichung aus Israel, in der die Behandlungen von Tauchern der letzten 12 Jahre zeigte, dass bei ca. 1/3 der behandelten Taucher mit Dekompressionserkrankung vom Typ II Innenohrsymptome auftraten. Eine französische Arbeitsgruppe veröffentlichte 2003 sogar ein Studie in der beinahe ein Drittel aller behandelten Taucher in der Druckkammer eine Innenohr DCS hatten. Heutzutage bezweifelt niemand mehr, das die Innenohr DCS bei Sporttauchern nicht selten auftreten kann.

Risiken
Ein erhöhtes Risiko, eine Dekompressionserkrankung des Innenohrs zu erleiden, sind bei folgenden Tatsachen gegeben:

  • Sicherheitstopp ausgelassen
  • Dekompressionsstop ausgelassen
  • zu schnelles Auftauchen
  • Wiederholungstauchgänge
  • Dehydratation
  • Persistierendes Foramen Ovale PFO
  • Jojo-Tauchgänge
  • Bereits erlittene Dekompressionserkrankungen in der Anamnese
  • Tauchgänge über 30 m Tiefe
  • Lange Tauchgänge
  • Tauchgänge in kaltem Wasser
  • Hypothermie
  • Andere Symptome einer Dekompressionserkrankung vorhanden

Diagnose und Therapie
Treten nach dem Tauchgang Symptome einer Innenohrerkrankung auf, und wenn dieser Tauchgang eine Dekompressionserkrankung auch nur möglich macht (d.h. Tauchgänge von mehr als 20 Meter Tiefe oder sehr langer Dauer oder Wiederholungstauchgänge oder sogenannte Jojo-Tauchgänge mit häufigem und eventuellem schnellen Auf- und Abtauchen etc.), sollte immer eine Dekompressionserkrankung des Innenohrs in Betracht gezogen und eine hyperbare Sauerstofftherapie durchgeführt werden.
Ist man sich nicht sicher, ob ein Barotrauma des Innenohrs vorliegt, was sehr selten einmal vorkommen kann, empfehlen wir die Durchführung eines Trommelfellschnitts (Parazentese) oder das beidseitige Einlegen von Belüftungsröhrchen in das Trommelfell. Dieser Schnitt verheilt innerhalb weniger Tage und hinterlässt keine bleibenden Schäden, die Röhrchen können im Anschluss an die Behandlung wieder entfernt werden. Wird ein Taucher mit beidseitigen Trommelfellschnitt in der Druckkammer behandelt, muss er keinen Druckausgleich mehr durchführen, da das Mittelohr durch den Schnitt belüftet wird. Somit ist die Gefahr einer Verschlechterung eines Tauchers mit Innenohrbarotrauma ausgeschlossen. Möglicherweise profitieren sogar Taucher mit Barotrauma des Innenohrs von diesem Vorgehen, da sich in manchen Fällen, nämlich dann wenn eine Luftblase im Innenohr vorliegen würde, sich die Blase durch die Druckkammerbehandlung verkleinern.
Es gilt: Im Zweifel sollte man bei Innenohrsymptomen nach dem Tauchen in einer Druckkammer behandelt werden, aber es muss sichergestellt sein, dass das Ohr belüftet ist.

Differentialdiagnose
Die folgende Tabelle kann bei der Entscheidung helfen, ob es sich um ein Barotrauma des Innenohrs handelt oder ob eine Dekompressionserkrankung des Innenohrs vorliegt.

Barotrauma des Innenohrs Dekompressionserkrankung des Innenohrs
Probleme mit dem Druckausgleich Keine Druckausgleichsprobleme
Auffälliger Trommelfellbefund Normaler Trommelfellbefund
Grundsätzlich bei jedem Tauchgang möglich Tauchgangsprofil kann eine Dekompressionserkrankung erklären
Luft im Innenohr (CT-Befund) Evtl. Begleitsymptome, die auf eine Dekompressionserkrankung hinweisen (Sensibilitätsstörungen, Juckreiz, Gelenkschmerzen, Hautrötungen, etc.)